Ich wünsche mir Schlagfertigkeit.

TW: rassismus, transfeindlichkeit/homofeindlichkeit, heteronormativität

Ich war auf einer heterosexuellen Geburtstagsfeier dieses Wochenende. Wieso sag ich das so? Weil ich mich als queere Person dort unwohl gefühlt habe. Soll heißen: Ich habe mich erschrocken, entsetzt, traurig, einsam, missverstanden und diskriminiert gefühlt. Ich war sehr froh, schnell in meine Bubble zu verschwinden. Doch gerade als ich zuhause ankam, ereignete sich ein Vorfall auf Whatsapp, der mich dann richtig umgehauen hat. Das Geburtstagskind hat ein Foto geschickt, auf dem ihre Freundinnen sie auf dem Fest umringen. Alle sind glücklich, alle sind wunderschön. Es ist ein wirklich tolles Bild, finde ich. Dann kommen die Kommentare der anderen Freundinnen (im Folgenden: F1-3, G für Geburtstagskind):

  • Ich: ach voll cool! Wir sehen wirklich toll aus ^__^
  • F1: Ich sehe aus wie ein chinanese mit meinen Schlizaugen ^^‘
  • F2: Bloß nicht posten eh ich seh aus wie ne Transe
  • G: ahahahahahahahahahahahahhhahaha *weinlachender Smiley* *Daumenhoch*
  • F3: […] Jetzt wo du das sagst […] *weinlachender Smiley*

Das Geburtstagskind und Freundin Nr. 3 lachen F1 + F2 aus, bis F2 sagt, dass sie es nicht mehr lustig findet. Sie hat wohl darauf gehofft, dass gesagt wird, wie hübsch sie aussieht und ist jetzt verärgert. Das Geburtstagskind und F3 schreiben: Aber du weißt doch, dass es nur Spaß ist. Ich schreibe, dass ich es ebenfalls sehr unfreundlich finde, worauf nur mit „oh mann, lila wieder“ geantwortet wird. Ich klinke mich aus der Konversation aus und bin sprachlos. Mich entsetzen der Rassismus, der Exotismus und die Transfeindlichkeit, die hier offen und völlig unreflektiert sichtbar sind. Neben dem ganzen Heterosexismus, den ich das ganze Wochenende über versucht habe, bestmöglich abperlen zu lassen, kann ich dann damit nicht mehr umgehen. Ich selbst bin weiß, deutsch und cis-weiblich. Ich trage eine Geschichte mit, ich habe Privilegien. Ich finde es wichtig, diese zu reflektieren und achtsam damit umzugehen. Ich wünschte, ich könnte den anderen verständlich machen, wieso das alles kein Spaß ist, aber ich weiß nicht, wie. Wie klagt mensch so ein Verhalten an? Ich ärgere mich, dass ich in dem Moment selbst nicht schlagfertig war. Am WG-Küchentisch schimpfe ich mich bei einem Freund aus. Der meint, ich hätte folgendes zurückschreiben sollen:

Ich (in einer hypothetischen Welt): Oh mein Gott, und ich seh aus wie ne Hete!

Wieso fällt mir so etwas nie ein?

Geduld No.1 – Eine Einführung

triggerwarnung: angst, waschen, kontaminationsgedanken, zwangshandeln, körperflüssigkeiten

Gestern morgen sind meine Therapeutin und ich uns zum ersten Mal einig, dass wir langsam versuchen können, die Therapie auszuschleichen. Wieso? Wir uns einig: Mir geht es gut! Ich spaziere glücklich und ausgelassen nach Hause, es kommt eine wunderbare Herbstregenfront, die Blätter fliegen im rauschenden Wind umher und ich stehe auf dem Schwedter Steg und schiebe meine Nase Richtung Wind, unter mir fahren die S-Bahnen. Alles ist wunderbar und alles ist gut. Nach langer Zeit, bald, bestimmt, ganz sicher.

Ich komme nach Hause, koche, esse, packe und fahre los. Ich bin zu Besuch eingeladen bei einer lieben, lange nicht gesehenen Freundin. Sie ist umgezogen und ich bin der erste Besuch – wie schön! Der Besuch ist auch schön, und er ist aufregend. Ich mache viele Sachen, die mir sonst schwerfallen, und ich gehe richtig gut damit um. Ich laufe alleine durch das komplett dunkle Dorf, denn ab 22 Uhr wird die Straßenbeleuchtung ausgeschaltet (Betonung liegt auf Dorf). Ich sehe eine riesige, schwarze Spinne in dem Bauwagen, in dem ich schlafe, und ich entscheide mich dagegen, sie umzusiedeln. Ich lasse sie sein. Ich koche zwar recht angespannt aber doch relativ locker in einer fremden Küche, und zwängel nur wenig beim Händewaschen. Ich lege mich ohne Probleme in ein zwar frisch bezogenes, aber fremdes Bett, weil ich meinen Schlafsack vergessen habe (tf? Am I still me?). Ich warte mehrmals lange allein draußen (im dunklen Dorf, allein, jaha). Ich mache also viele Dinge, die mich normaler Weise viel Energie bräuchten, und es klappt gut. Es klappt wirklich gut. Und ich fahre am Samstag nach Hause und alles ist gut.

Nichts da. Alles war gut, bis ich nach Hause kam. Zuhause ist Zeitdruck: Cassy schläft bei mir, und ich bin mit Sasha verabredet, und ich habe eine Stunde Zeit, mich und meine Wohnung vorzubereiten. Zuhause ist: Das Bett muss umbezogen werden, die Wäsche wegen der kaputten Waschmaschine in Cassys Waschmaschine gewaschen werden, damit das passieren kann, muss ich meine regeldurchblutete, seit einer Woche eingeweichte und nicht ausgewaschene Unterhose auswaschen, und mein Dildo liegt auch ungewaschen irgendwo rum.

Dummerweise sind alles Triggerthemen: Bett, Menstruation(sblut), Vaginalsekrete anderer Form und Farbe, Phallusformen, Verantwortung für andere durch Übernachtenlassen bliblablub. Meine Kontaminationszwänge kicken rein und ich finde mich dabei wieder, nicht nur Dildo und Unterhose, sondern auch das Waschbecken und den Badezimmerboden zu waschen. Glücklicherweise bin ich darin noch immer so geübt, dass ich weitsichtig so wenig wie möglich Seife an meine Hände lasse und gleichzeitig so wenig Handschuhpaare wie möglich verbrauche. Schließlich bin ich ja öko. Und irgendwann ist es geschafft: Alles sauber, ich auch wieder gefühlt, da klingelt es an der Tür. Sasha und Hundi sind schon da. Wir plaudern ein wenig und wollen dann gemeinsam zu Cassy gehen, die Wäsche bringen und den Abend absprechen. Doch da passiert es: Sasha fasst meine Dreckwäsche an, in dem Versuch, die überhängenden Pulloverärmel auch in der Wäscheschüssel zu bugsieren. Ich sage stopp, lauter stopp, ich rufe stopp! Sasha guckt mich an, was ist denn?

Ich mache den Mund auf und wieder zu. Ich fange an zu weinen. Sasha guckt und wartet. Ich weine eine ganze Weile, und versuche schluchzend zu erklären, was los ist. Ich bin selber sehr überrascht von mir. Eben war doch noch alles gut? Ich muss mir eingestehen, dass der Besuch sehr anstrengend war für mich, und ich doch sehr angespannt war die ganze Zeit. Ich muss mir eingestehen, dass ich anscheinend permanent gezwängelt habe, indem ich die Unterhose und den Dildo so lange nicht gewaschen habe. Ich muss mir eingestehen, dass doch noch nicht alles gut ist. Ich bin darüber fast mehr bestürzt als über Sashas – in meinen Augen komplett grenzüberschreitendes – Verhalten. Ich bin ein mutloser Klops, dem gerade auffällt, wie viel noch zu tun ist, und der sich daraufhin selbst bemitleidet.

Sasha sagt: Aber ich will doch immer alles ordentlich haben. Die Ärmel hingen aus der Schüssel. Das ist halt mein Zwang.

Ich sage: Würdest du so heulen, wie ich gerade, wenn du es nicht hättest machen dürfen?

Sasha sagt: Nein.

Ich sage: Dann ist das nicht so ein schlimmer Zwang wie meiner. Außerdem kann man Ticks haben, aber Zwänge sind langfristige Konstrukte mit wesentlich höherem Leidensdruck.

Sasha sagt: Ha. Und jetzt?

Ich sage: Muss ich dich bitten, deine Hände zu waschen.

Sasha sagt: Ich will aber nicht.

Ich sage: Und wenn ich dich bitte?

Sasha geht sich die Hände waschen. Ich fühle mich versagerlicher und weine bitterlich. Später mit Cassy bin ich sehr müde. Wir reden nicht lange. Ich schlafe schlecht und habe den ganzen Sonntag Kopfschmerzen und bin sehr lichtempfindlich. Ich darf nicht aufhören, auf mich aufzupassen, nur weil ich mir jetzt wieder mehr zutraue. Ich darf mich nicht kleinmachen, nur weil das, was ich mir zutraue, für andere normal ist. Ich bin immer noch in der Probierphase, und es muss ok sein, wenn noch nicht alles klappt. Das alles muss ok sein. Und ich weiß: Es ist ok. Es wird okayer, jeden Tag ein bisschen mehr. Was schlimm ist, jetzt gerade, ist der Schreck darüber, wie einfach es war, mein Zwängeln nicht zu bemerken. Ich hab es einfach nicht bemerkt, weil ich endlich mal entspannt sein wollte.

Und ich merke: Auch das, mich nach und mit der Krankheit zu entspannen, muss ich lernen und mir dafür Geduld und Liebe zustehen. Es wird so vieles wieder machbar und dann irgendwann einfacher, und auch das wird machbar und einfacher werden.

OCD Adventures

Einblicke in mein Leben mit einer Zwangserkrankung

Dies ist eine Art Tagebuch über die Erfahrungen und Einblicke in mein Leben mit meiner Zwangserkrankung. Und da ich mich – wie einige andere Zwängelnde auch – im Internet oft auf Englisch umhertreibe, kommt der Name der Reihe in schickem Englisch daher. OCD steht für obsessive-compulsive disorder, zu deutsch obsessiv-zwanghafte Störung, also Zwangsstörung. Und ums ein bisschen aufzulockern kommt noch adventures dazu, Abenteuer, voll cool. Und während im englischsprachigen Internetland sich unglaublich viele zu ihren Zwängen bekennen, finde ich das Thema im deutschsprachigen Pendant immer noch heikel unterrepräsentiert. Deshalb geb ich jetzt auch meinen Senf dazu.

Doch die Aktion hat noch einen Untertitel, und ich wäre nicht ich, wenn ich den nicht noch erklären würde: Einblicke in mein Leben mit einer Zwangserkrankung. Ich beschäftige mich schon lange mit Zwangserkrankungen, mit Therapieformen, Kommunikationsformen, Selbsthilfe und Selbstliebe usw. Und ich merke, dass ich immer noch darüber stolpere: mein Leben mit einer Zwangserkrankung, das klingt so absolut, so dazu gehörend, so akzeptiert. Ich aber akzeptiere ja nicht. Ich will ändern. Trotzdem muss ich, um zu gucken, wie ich etwas ändern möchte, erst mal definieren und mir eingestehen, dass es ein Etwas gibt. Und deswegen ist der Untertitel wichtig: Er ist eine Erinnerung an mich selbst, dass der Status quo noch nicht so ist, wie ich ihn mir wünsche.

Nachdem das geklärt ist: Ich bin gespannt, was diese Reihe bringt.